Seit einigen Jahren erleben wir einen besorgniserregenden Rechtsruck in Europa. Von populistischen Bewegungen bis hin zu rechtsextremen Parteien gewinnen politische Strömungen an Zustimmung, die oft von nationalistischen und autoritären Ideologien geprägt sind. Doch was sind die Ursachen dieses Phänomens? Und gibt es einen Zusammenhang mit der steigenden Zahl einsamer Menschen?
Wir sind dem Stress nicht mehr gewachsen
Stress entsteht, wenn wir uns Situationen ausgesetzt sehen, unter denen wir leiden, die wir aber nicht beeinflussen können. Und genau das erleben viele von uns heute.
Wir befinden uns in einer Zeit, in der Konflikte und Kriege in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattfinden. Die Gefahr in Kampfhandlungen hineingezogen zu werden, ist real. Veränderung unserer Umwelt schreiten ungebremst voran: jedes Jahr werden neue Hitzerekorde gebrochen, dann zerstört sintflutartiger Regen ganze Landstriche. Man muss schon sehr konzentriert wegschauen, um nicht zu erkennen, dass uns das alle betrifft. Die deutsche Wirtschaft, lange Zeit Garant für ein hohes technologisch Niveau und Basis unseres Wohlstands wurde von asiatischen Ländern längst überholt, unser Wirtschaftswachstum schrumpft. Die Zukunftsaussichten unserer Kinder verdüstern sich, Altersarmut macht sich breit, der gesellschaftliche Diskurs ist zu einem lauten Geschrei vieler unterschiedlichster Akteure ausgeartet. Und als sei das noch nicht genug, meldet sich immer öfter eine Hotline anstatt eines menschlichen Mitarbeiters und macht klar, dass ich sogar ihr gegenüber machtlos bin. Weder Argumente, noch Bitten noch Drohen beeindrucken die Stimme am anderen Ende: „Ich habe Sie leider nicht verstanden. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“ Sie legt auf.
Ich brülle mein Telefon an und erkenne gleichzeitig, dass es die völlig Machtlosigkeit ist, die mir sehr zu schaffen macht.
Schluss mit Katastrophe
Ich verstehe jeden, den dies mit Angst und Wut und Panik erfüllt. Mit geht es ähnlich. Auch ich kenne den dringenden Wunsch, dass dieser Wahnsinn aufhören möge. Dass diese dauernden Katastrophenmitteilungen sich als Falschmeldungen herausstellen. Jemand entschuldigt sich und alles ist wieder gut. Ich träume auch von einem friedlichen Miteinander aller Völker, einer gesunden und zukunftsfähigen Umwelt und einer Zeit, in der ich aus dem Leben scheiden kann und die Sicherheit habe, meine Kinder und Enkel in einem glücklichen Land zurückzulassen.
Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt?
Angesichts dieser Herausforderungen ist es kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen nach einer einfacheren und überschaubareren Welt sehnen. In einer Zeit, in der die Komplexität des Lebens alle Vorstellbare übersteigt, bekommen simple Lösungen und schnelle Antworten eine betörenden Glanz.
Der Rechtsruck in Europa kann als Ausdruck dieser Sehnsucht nach Einfachheit und Sicherheit interpretiert werden. Rechtspopulistische und nationalistische Bewegungen bieten scheinbar klare Antworten auf komplexe Probleme: Wir schließen die Grenzen, Frauen kehren wieder zurück an den Herd, Männer nehmen ihre angestammte Rolle als Oberhaupt der der Familie ein, die Regierung greift zum Wohle der Bürger entschlossen durch und das Gespenst des Klimawandels war ohnehin nur linke Panikmache.
Wer braucht schon Demokratie, Frauenrechte und das ganze übrige pluralistische Gedöns?
Unser Großhirn hat eine Welt geschaffen, die unser Kleinhirn völlig überfordert
Die simplen Lösungen, die der Rechtsruck verspricht, wären ein enormer Rückschritt. Um bessere und zukunftsfähige Lösungen zu finden, ist wichtig, dass wir uns der Ursachen des Rechtsrucks bewusst werden. Wir müssen Antworten finden, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen.
- Wie kann es gelingen, mehr Optimismus in unsere Politik zu bringen, mehr positive Zukunftsaussichten sichtbar zu machen, die der Klimawandel eben auch mit sich bringt?
- Wie kann wieder mehr Gemeinschaft entstehen und menschliches Miteinander gelingen?
- Wie können die tausende von Dingen, die sich unser kreatives Großhirn hat einfallen lassen, so genutzt werden, dass unser auf Sicherheit bedachtes Reptiliengehirn sich damit sicher fühlt?
Wir müssen Gemeinschaft neu erfahren
Die Rechten haben sehr gut verstanden, dass einsame Wähler gute Wähler sind. Deshalb können wir rückwärts gerichtetes Denken auch dadurch austrocknen, in dem wir uns daran machen, Menschen wieder in stabile Verbindungen zu bringen. Das wird nicht dadurch gehen, dass wir sie zusammen in einen Raum einschließen. Es ist – leider auch hier – etwas schwieriger.
Wir müssen wieder lernen, miteinander in Resonanz zu treten. Aufeinander zu hören. Versuchen, das Schöne im anderen zu sehen. Egal, wer es sei.
Kein Zweifel: Es gibt Lösungen für die Herausforderungen dieser Zeit
In einer Welt, die immer komplexer wird, müssen wir lernen, mit dieser Komplexität umzugehen, anstatt uns simplen Lösungen hinzugeben. Denn nur so können wir eine Zukunft gestalten, die geprägt ist von Vielfalt, Solidarität und Resilienz. Dazu brauchen wir Gemeinschaften, die über Empathie und ein Verständnis darüber verfügen, dass ein gelingendes Miteinander der erste Schritt in eine gelingenden Zukunft ist.