Schluss mit Einsamkeit – so geht’s!

Viel ist in diesen Tagen von Einsamkeit zu hören. Journalistinnen und Journalisten sprechen mit Psychologinnen und Psychiatern. Betroffene werden interviewt, Buchautorinnen unterschiedlichster Couleur dürfen sich äußern. Öffentlich rechtliche Sender bieten Beiträge zum Thema und auch in den sozialen Medien finden sich eine Vielzahl mehr oder weniger professioneller Berichte und Videos.
Die Betroffenheit ist groß, die Ratlosigkeit auch. Tanztees könnten Abhilfe schaffen, in Bayern ist es möglich, dass sich einsame Menschen an Ratschkassen anstellen, Ministerin Lisa Paus schlägt vor, mehr über Einsamkeit zu sprechen und weitere Bänke aufzustellen.

1) Begegnung möglich machen

Bänke aufzustellen mag eine unspektakuläre Aktion sein. Doch die Idee, dass zwei einander nicht bekannte Menschen darauf Platz nehmen und vielleicht ins Gespräch miteinander kommen, ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Tatsächlich schwinden die Gelegenheiten, bei denen wir anderen Menschen physisch begegnen. Nur noch ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung geht Sonntags zur Kirche, Einkäufe werden am heimischen Computer erledigt, Behördengänge entfallen, da viele Kommunalverwaltungen ihre Abläufe digitalisiert haben. Das Homeoffice erspart einerseits lange Arbeitswege, doch es ist andererseits auch der Grund, warum wir uns mehr in Kaffeeküchen, Werkstätten oder Kopierräumen „zufällig“ begegnen. Statt in Dienstreisen wurde in moderne Konferenztools investiert, Fortbildungen und Schulungen finden ohnehin längst online statt.
Jede bewusst herbeigeführte Möglichkeit der Begegnung ist daher zu begrüßen.

2) Das menschliche Maß wiederfinden

Auf der Suche nach dem großen Glück haben wir uns – so scheint es manchmal – in den endlosen Angeboten der modernen Welt verloren. Die schiere Menge an Kleidungsstücken, technischen Geräten, Lebensmitteln, Sport- und Fitnessvarianten hat uns längst von der souveränen Konsumentin zum einem überforderten Marktteilnehmer gemacht. Doch wir halten fest an der Illusion, unter unbegrenzten Möglichkeiten das Beste auswählen zu können.

Was für Dinge und Ideen noch funktionieren mag, bringt uns an unsere Grenzen, wenn es um wichtige persönliche Kontakte geht. Der Anthropologe Robin Dubar fand heraus, dass wir mit maximal 150 Menschen gleichzeitig vernetzt sein können. Der Kreis engen Bezugspersonen ist hingegen wesentlich kleiner.

Die Anzahl der Personen, mit denen wir tiefe Beziehungen eingehen können, scheint bei 20 bis 30 Menschen zu liegen. Sicherlich gibt es kulturelle und persönliche Unterschiede, doch wer nach stabilen Gemeinschaften sucht, ist gut beraten, sich eine Gruppe von Menschen in dieser Größe zu suchen. Das ist die Grundvoraussetzung, dass Gemeinschaft entstehen kann.

Wir verfügen über so etwas wie Wesensplastizität. Der Begriff fasst zusammen, dass wir in der Lage sind, uns nach und nach an andere Menschen anzupassen. Nein – wenn wir uns freiwillig darauf einlassen, dann ist das kein Verlust an Freiheit und Selbstbestimmtheit. Sondern im Gegenteil ein Zugewinn an so essentiell wichtigen wie menschlicher Wärme und sozialer Sicherheit.

3) Die ins Kraut geschossenen Individualitätskultur einhegen.

Wir haben es mit der Individualisierung übertrieben. Nicht nur, dass eine wachsende Zahl an Menschen nicht mehr bereit ist an den Straßenrand zu fahren, wenn ein Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn eine freie Straße braucht. Die Überzeugung, dass das Recht auf uneingeschränkte Fahrt über der Notlage einer anderen Person steht, scheint auch die Durchsetzung dieses vermeintlichen Anspruch zu rechtfertigen, ja sogar zu fordern.
Wir sind auch davon überzeugt, ein Recht auf uneingeschränkte persönliche Entfaltung zu haben. Das schließt mit ein, dass wir nach eigenen Regeln leben wollen und Regeln der Gemeinschaft vielfach übergriffig, ja sogar unerhört finden. Vorgaben, die die Politik macht – oder machen sollte – werden wütend abgelehnt. So kommt es zum Beispiel, dass es neben Deutschland nur noch in Afghanistan, Bhutan, Burundi, Haiti und Mauretanien kein Geschwindigkeitslimit auf Autobahnen gibt.

Im Zusammenhang mit dieser Egotyrannei wird zudem ein immer weniger reguliertes Affektverhalten sichtbar. Als Affekte werden Gefühle bezeichnet, die kurzfristig entstehen und sehr heftig sein können. Allerdings flachen sie auch schneller wieder ab. Gefühle, wie zum Beispiel überschwängliche Freude oder auch tiefe Empörung, zeigen sich plötzlich mit größter Intensität. Wut und Ärger können zu üblen Vorwürfen, Beschimpfungen oder gar tätlichen Übergriffen führen. Affektreaktionen waren und sind in allen Kulturen als problematisch angesehen und es wurde vieles versucht, um sie zu regulieren oder zu unterbinden.
Fünf Minuten lang durch den täglichen Newsfeed zu scrollen reichen aus, um erschrocken festzustellen, wie groß die Zahl der Gewalthandlungen ist, die offenbar im Affekt geschehen sind.

Was viele nicht wissen: sowohl rücksichtsloses Ego-Verhalten, als auch Vorwürfe, Beschimpfungen oder gar Übergriffe machen einsam.

Um der Einsamkeit entgegen zu wirken, empfiehlt es sich daher, die eigenen Reaktionen unter die Lupe zu nehmen:

  • Kenne ich eigentlich die Menschen um mich herum?
  • Weiß ich, wie sie heißen, wie viele Kinder sie haben, was aktuell ihre Herausforderungen sind?
  • Bin ich bereit ihnen zuzuhören, auch wenn sich unsere Standpunkte unterscheiden?
  • Und was, wenn ich mit einer Meinung konfrontiert bin, ich ich nicht teile?
  • Sollte ein starkes Gefühl in mir auftauchen – weiß ich, wie ich es regulieren könnte?
  • Das höchste, was eine Freundschaft aushalten können sollte, ist nicht ein heftiger Streit. Sondern das Zuhören, obwohl ich anderer Meinung bin. Bin ich dazu bereit?

Die drohende gesellschaftliche Vereinsamung ähnelt einer chronische Vergiftung, die uns krank machen, ja sogar töten kann.


Doch sie trägt die Heilung für uns als Gesellschaft bereits in sich. Das einzige, was wir tun sollten, ist uns auf das zu besinnen, was wir ohnehin brauchen, um glücklich leben zu können.

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